Herr über Leben und Tod
Musical „Frankensteins Erben“ begeisterte Publikum in Marienkirche
Von Martina Graff
Minden (mgr). In zwei Vorstellungen am Wochenende erlebten viele Zuschauer in der St. Marienkirche die Aufführung von „Frankensteins Erben“.
In Annabel (Bele Spriewald) findet Dr. Frankenstein (Mirko Prasse) bei seinen vermessen-grenzüberschreitenden Experimenten eine willige Gehilfin. MT-d-Foto: Martina Graff
Thematisch ging es dabei um den menschlichen Machtwillen, Herr über Leben und Tod zu sein. Das Musical mit über 150 Beteiligten entstand als Projekt des Gymnasiums Petershagen. Die Bühnenakteure, Mitglieder der Theater AG des Gymnasiums, zogen das Publikum mit ihrem intensivem Spiel in toller Kostümierung rasch in den Bann. Auch die Songtexte, selbsterarbeitete Dialogen und die Orchesterbegleitung zeugten vom Können der Schüler.
Stimmkräftig brachte sich der Mindener Jugendchor Tookula ein, dessen Leiter Thomas Wirtz gemeinsam mit Martin Guth und Janosch Brenneisen die Musik geschrieben hatte. Videosequenzen und animiertes Schattenspiel, für deren Einsatz sich die Technik-AG engagiert hatte, stellten eine Bereicherung dar.
Mehr als ein Musical-Projekt
Von Thomas Traue
Tatort: St. Marienkirche. „Daniel, wo ist der Rollwagen?“ „Christoph, wohin mit den Scheinwerfern?“, hallt es durch das nächtliche Kirchenschiff. Draußen pfeift der schneidende Wind um die versammelten Kleintransporter, die Unmengen an Gerüststangen, Bretter, Kabel, Requisiten und Dekorationen schlucken müssen.
„Picasso, nimm mal das Seil an.“ Knappe, hektische Anweisungen erfüllen das Gotteshaus, in dem sich viele jugendliche Hände fleißig zu schaffen machen. Tatzeit: Samstagabend, kurz vor Mitternacht. In wenigen Stunden ist Gottesdienst, bis dahin muss alles wieder besenrein hergerichtet, müssen alle Anzeichen der Tat mit einer logistischen Meisterleistung verschwunden sein. Die Täter: Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Petershagen.
Rückblende: Vor zwei Stunden leuchteten von den Gerüsten noch die Strahler auf mehr als 150 junge Mitwirkende des Musicals „Frankensteins Erben“. Im stehenden Applaus des Mindener Publikums nahmen die Akteure ihren wohlverdienten Lohn für ein eigenproduziertes, in einjähriger Femarbeit unter der Leitung von Martin Guth auf die Beine gestelltes Projekt entgegen, das in insgesamt acht ausverkauften Aufführungen nicht nur inhaltlich in der Verbindung des Mythos‘ Frankenstein mit der aktuellen Gendebatte eine Grenzüberschreitung thematisierte, sondern auch in seiner Außenwirkung einige lobenswerte Akzente setzte, die hoffentlich über die heimische Schul- und Kulturregion noch weit hinausstrahlen werden.
Tatort Gymnasium Petershagen: In ungezählten Stunden an Nachmittagen und Wochenenden probten fieberhaft und voller Elan die Schülerinnen und Schüler, sogar ihre Ferien opferten sie etwa für den Aufbau des Bühnenbildes. Solosänger und Schauspieler, Orchester und Chor, Schattenspieler und Tänzer, Multimedia-Experten und Bühnentechniker: All das musste zu einem stimmigen Ganzen geformt werden und all das geschah fächerübergreifend – in der Theater AG, der Theater-Musik AG, der Technik AG, der Schneider AG, der Multimedia AG. Ein Literaturkurs schrieb die Texte, ein Kunst-Kurs gestaltete Plakate, die Multimedia AG erstellte eine eigene Homepage. Ehemalige Schüler wirkten ebenso mit wie viele Eltern und Unternehmen, die ihre Transporter zur Verfügung stellten.
Erstaunlich an dem engagierten Gesamtprojekt ist also nicht nur, dass sich hier Kirche und Schule an zwei Abenden begegneten, dass Kinder und Jugendliche als Laienakteure eine hochprofessionelle Leistung erbrachten. Bemerkenswert an dem Musical-Projekt des Gymnasiums Petershagen ist auch, dass sich hier Schule mit der Einbindung des Tookula-Kinderchores und der Tookula-Tanzgruppe aus Minden für Partner nach außen geöffnet und auch innerschulisch frischen, interdisziplinären Wind entfachte.
Wer die tatkräftigen Akteure um Mitternacht beobachtete, der wird die aufgeregte Pisa-Debatte sicherlich mit etwas nüchternen Augen betrachten. Eine neue Schul-Kultur, von der jetzt politisch so viel die Rede ist, fängt unten an: beim Dreiklang Lehrer, Schüler und Eltern. Pädagogen, die sich nicht nur als Noten verteilende Pauker und Wissensvermittler verstehen, die eben auch einmal außerunterrichtlich soziale Arbeit im weitesten Sinne leisten und Begeisterung wecken, werden dankbar Engagement und Leistungswillen ernten. Ebenso Eltern, die sich für die Entwicklung ihrer Kinder interessieren und sich in den Lern- und Sozialort Schule einbinden.
All das hat das mutige Projekt gezeigt, von dem sicherlich alle Beteiligten mehr für die Zukunft mitgenommen haben, als sie heute erahnen.