Theater-AG des Gymnasiums Petershagen spielt Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ / Techniker werden zu Akteuren

Auf der Bühne des Gymnasiums Petershagen: Mirko Prasse als Alfred Ill und Bele Spriewald als Claire Zachanassian in Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“. Foto: Fabritz

Von Dr. Christoph Andreas Marx
Petershagen (mt). Die Stadt ist pleite, die Menschen arbeitslos, öffentliche Gebäude marode: Das ist die Ausgangssituation in Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“.

Sehr aktuell, könnte man meinen. Doch dem Autor ging es schon damals nicht um schnelle Zuweisungen. Er zeigt den Menschen in all seiner Tragik, mit all seinen Schwächen, seiner Ungeheuerlichkeit – immer und überall.

Als sich am Samstag im ausverkauften Pädagogischen Zentrum des Gymnasiums Petershagen der Vorhang zur Premiere hob, wurde schnell deutlich, dass Rainer Hoock und Dennis Dammeyer in ihrer Inszenierung nicht auf simple Aktualisierung setzen, sondern eben jene von Dürrenmatt intendierte Zeit- und Raumlosigkeit des Szenarios in den Vordergrund stellen. Die Texte kaum verändert, allenfalls dehistorisiert, Bauten und Kostüme nicht zeitgenössisch, aber auch nicht verfremdet, Verzicht auf grelle Effekte, kurz: Dürrenmatts Vorgaben werden ernst genommen und fallen nicht dem Eigensinn des Regisseurs zum Opfer.

So beginnt die Groteske in aller Nüchternheit. In der völlig verarmten Kleinstadt Güllen warten die Menschen auf die Ankunft von Claire Zachanassian, einst Bürgerin der Stadt, jetzt Multimilliardärin. Sie warten zugleich auf eine Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme, setzen all ihre Hoffnungen auf die alte Dame, die alsbald die Fäden in die Hand nimmt. Sie will Rache. Sie verspricht Geld für Gerechtigkeit: Alfred Ill, der Claire vor Jahrzehnten schwängerte und sitzen ließ, soll seine Strafe erhalten, soll umgebracht werden.

Die Menschen in Güllen sind empört und lehnen das Ansinnen der alten Dame ab, doch mit der Zeit kippt die Stimmung. Das Gift der alten Dame beginnt zu wirken. Bele Spriewald als Claire Zachanassian weiß dieses Gift mit damenhafter Tigerkralle auszustreuen. Trotz oder gerade aufgrund ihrer Jugendlichkeit gelingt es ihr, der Rolle einen vital- morbiden Charakter zu verleihen und dem bösen Spiel authentische Kraft zu geben. Und all das mit überzeugender Stilsicherheit.

Mirko Prasse verdeutlicht als Alfred Ill die Tragik des Geschehens in besonderer Weise. Von hoffnungsvoller Begeisterung bis hin zu todesnaher Verzweiflung spielt er die Möglichkeiten dieser Rolle souverän aus, lässt das Publikum mitfühlen. Die etwa sechzig Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Petershagen zeigen große Spielfreude. So auch Frauke Janzen, die als Polizeiwachtmeisterin eindrücklich die Aggressivität der Exekutive verdeutlicht. Oder Daniel Harnisch als pragmatisch-opportunistischer Bürgermeister. Philipp Hahn als Lehrer lässt in überzeugender Weise die Idee der Humanität aufleuchten, um sie anschließend ebenso überzeugend zu ersäufen.

Viel gutes, subtiles Spiel gibt es auch in den Nebenrollen, etwa wenn Johanna Meyer eine überkandidelte Journalistin oder Miriam Sander den gemeinen Bürger darstellt. Das Stück überzeugt und funktioniert nicht zuletzt aufgrund einer ausgefeilten Logistik der Bühnentechnik. Hier galt es, mit geringsten Mitteln viel zu bewirken. In der Petershäger Inszenierung wird die Not zur Tugend, werden Bühnenarbeiter und Techniker zu Protagonisten der Handlung. Die Verwandlungen geschehen quasi vor laufender Kamera.

„Der Scheck!“ Mit diesen nüchternen, ernüchternden Worten endet das Spiel. Auf Dürrenmatts Schlusschor, eine Anspielung auf das Menschenbild des Sophokles, wird verzichtet. Das ist schlüssig, denn alle menschlichen Abgründe sind zu diesem Zeitpunkt längst offensichtlich geworden. Den Zuschauern bleibt die Aufgabe, die tragische Situation für sich selbst aufzulösen. Am Samstag taten sie dies zunächst mit großem, langanhaltendem Beifall, der eine große Teamleistung belohnte.

Noch zweimal wird sich im Gymnasium Petershagen der Vorhang für die alte Dame heben und zwar am 24. und 27. Februar, jeweils um 19.30 Uhr. Karten sind im Sekretariat der Schule erhältlich.