„Lassen Sie Ihre Kinder die Experten sein“

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vom 08.02.2013

 

Vortrag zum Thema „Generation Internet und Cybermobbing“ am Gymnasium / Eltern sollen stets „dranbleiben“

Mobbing beginnt und endet immer im richtigen Leben. Die schlimmsten Fälle sind die, bei denen Kinder lange nichts gesagt haben. Fotos: dpa/Conti

Von Nadine Conti

Petershagen (nec). Der Bedarf ist offensichtlich: 150 Anmeldungen verzeichnete das Gymnasium Petershagen für den Elternabend zum Thema „Generation Internet und Cybermobbing“ mit dem Berliner Medienpädagogen Jörg Hagel. Eltern und Lehrer, die dort waren, signalisierten, dass ihnen das Thema unter den Nägeln brennt.

Es gibt ein paar Momente an diesem Abend, da wird sie fast körperlich fühlbar, die digitale Kluft, die sich durch viele Familien zieht. Auf Seiten der Eltern: Viele Ängste und das Gefühl, überfordert zu sein. Und auf Seiten der Kinder die Haltung: Ach, komm schon, alles nur Spaß, alles easy, ganz normal, das machen doch alle so. Irgendwo dazwischen steht Jörg Hagel und versucht zu vermitteln. Und seine Botschaft lautet schlicht: „Bleiben Sie dran. Auch wenn es unbequem ist.“

Da gibt es Mütter, denen die Panik ins Gesicht geschrieben steht: Oh Gott, muss ich mich darum jetzt auch noch kümmern. Ich habe doch keine Ahnung von dem Kram. „Ja“, sagt Jörg Hagel, „lassen Sie sich das von ihren Kindern zeigen.“ Wie man ein Facebook-Profil anlegt, zum Beispiel. Welche Privatsphäre-Einstellungen die Kinder gewählt haben. Was für Fotos sie hochladen und wer darauf Zugriff hat.

„Lassen Sie Ihre Kinder die Experten sein. Aber versuchen Sie auch, Regeln zu setzen und Vereinbarungen zu treffen.“ Er dürfe zum Beispiel nichts an die Pinnwand seiner Tochter posten – das wäre ja voll peinlich, fährt der Experte fort. „Liken“, also den „Gefällt mir“-Knopf drücken, dürfe er aber sehr wohl. „Nur so haben Sie Teil an der Lebenswelt ihrer Kinder. Nur so bleiben Sie im Gespräch. Und nur dann kommen die auch zu Ihnen, wenn sie im Internet wirklich mal blöd angemacht werden.“

Die schlimmsten Mobbingfälle, die er erlebt habe, seien die, bei denen die Kinder viel zu lange nichts gesagt hätten. Weil sie Angst haben mussten, dass die Eltern ihnen dann den Internetzugang sperren. „Machen Sie sich mal klar, wie ungerecht das ist“, ereifert er sich, „da wird denen ihr Liebstes weggenommen, obwohl sie doch gar nichts dafür können.“

Noch schlimmer sei es, wenn die Situation am Ende so verfahren sei, dass das Mobbingopfer die Schule wechseln muss. „Damit bestätigen Sie den Täter“, mahnt er.

Es beginnt immer im wirklichen Leben

Denn eines müsse auch klar sein: Mobbing beginnt und endet immer im „Real Life“, im wirklichen Leben. „Da kommt kein anonymer Fremder im Internet vorbei, der sich willkürlich mein Profil herauspickt, um mich dann fertigzumachen.“ Deshalb müsse das Problem auch da thematisiert und gelöst werden, wo es entstanden ist – im Klassenverband, im Sportverein, in der Gruppe. „Diskutieren Sie das. Schaffen Sie Öffentlichkeit.“

Dass dies ein Prozess ist, der am Gymnasium Petershagen längst im Gange ist, zeigt ein Fall, den ein Lehrer in der Diskussion schildert. Schüler hatten ihn im Unterricht heimlich mit dem Handy gefilmt und das Video ins Internet gestellt – anzügliche Bemerkungen im Kommentarfeld inklusive. Als er in der Klasse thematisierte, wie unangenehm das für ihn gewesen sei, zeigten sich die Schüler erst geschockt und dann einsichtig. Das Video verschwand, die Gesprächsebene blieb: „In der Folge kamen einige Schülerinnen zu mir und berichteten von ihren eigenen Erfahrungen, darunter eine, die von einem Stalker belästigt wurde“, berichtet der Pädagoge. Auch die sogenannte Facebook-Attacke im September hatte dafür gesorgt, dass das Thema im Gymnasium auf der Tagesordnung weit nach vorn rückte. Damals hatten Schüler auf Facebook ihrem Unmut über den neuen Stundenplan Luft gemacht. Was als kleine Schulhofpöbelei begann, schaukelte sich bis zu Tötungsdrohungen gegen Lehrer hoch. Blöderweise öffentlich, sodass das Ganze sehr viel weitere Kreise zog, als die Schüler dies wohl beabsichtigt hatten (das MT berichtete).

An diesem Beispiel zeigt sich die zurzeit wohl größte Baustelle in Sachen Internetkompetenz: Bei den Schülern entsteht nur langsam das Bewusstsein, dass man auch mit ein paar kleinen Klicks großen Schaden anrichten kann. Und dass Dinge, die man einmal ins Netz gepustet hat, kaum wieder einzufangen sind. Und bei den Eltern fehlen schlicht die technischen Kenntnisse, um ihren Kindern sinnvolle Verhaltensmaßregeln an die Hand zu geben. Genau hier versucht Hagel anzusetzen, aufzuklären und versorgt die Eltern mit Linktipps wie klicksafe.de oder mimikama.at. „So komisch das klingt: Da hilft Ihnen das Internet“, sagt er.

Auch mit Kindern im Matsch laufen

Als ein Vater von vier Kindern klagt, das sei aber ein unglaublicher Zeitfresser und anmerkt, er sei dankbar, dass er zu Zeiten aufgewachsen sei, als man seine Freizeit noch damit verbringen durfte, über den Bauernhof seiner Eltern durch den Matsch zu rennen, nickt Hagel zunächst verständnisvoll. Und setzt dann nach: „Tja, an den Gedanken werden Sie sich leider gewöhnen müssen. Das kann aber auch Spaß machen. Ich habe jeden Tag Spaß mit Facebook. Und die Zeit, mit ihren Kindern barfuß im Matsch Fußball zu spielen, finden Sie bestimmt trotzdem noch.“

In diesem Punkt ist der Berliner Medienpädagoge unerbittlich: Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Das Internet geht nicht wieder weg. Abschalten gilt nicht.

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