1. Platz für Thea Plaggemeier

Literaturwettbewerb 2020

Auch in diesem Jahr hat es wieder einen Literaturwettbewerb an unserer Schule gegeben. Diesmal zum Thema „Sieh die Welt mit anderen Augen!“. Doch eine Preisverleihung war diesmal nicht möglich. Sehr schade, denn so konnten wir die gelungenen Erzählungen von Lennja Kristin Mai, Nike Schmidt, Charlotte Witte, Sophie Völker, Jori Bruns, Johanna Müller und Thea Plaggemeier in diesem Jahr leider nicht so würdigen, wie sie es verdient hätten. Da alle Beiträge richtig gut gelungen sind, gab es auch für alle Teilnehmerinnen einen Buchgutschein. Den ersten Platz zu bestimmen, war diesmal schwerer denn je. Schließlich fiel die Wahl auf Thea Plaggemeier. Ihr Erzählung kann man hier lesen. Es lohnt sich …

Sieh die Welt mit anderen Augen – Der Krähendetektiv

Auf einer Laterne in der Nähe des Reichstags saß eine Krähe. Um genau zu sein, eine Krähe, die durch einen Unfall eine Kralle verloren hatte. Die anderen Krähen nannten sie deshalb die ‚Krähe, die eine Kralle verloren hat‘ (was sie sehr ärgerte). Sie beobachtete (wie jeden Tag) einen dicken Mann, der in einem Haus saß, wo Menschen von anderen Menschen Futter bekommen. Krähe mochte dieses Futter. Vor dem Mann stand eine Platte mit einem Fleischbrocken, der zwischen fluffige, braune Scheiben gelegt war. Darauf lagen Blätter und eine rote Flüssigkeit. Neben dem Fleischdings lagen gelbe Stäbchen, und diese gelben Stäbchen waren das, was Krähe wollte. Sie kannte den Mann (er saß dort regelmäßig und bestellte sich immer dasselbe Futter). Ab und zu tauschte sie mit dem Mann. Er gab der Krähe ein paar von den Stangen und sie brachte ihm von ihren Schätzen: glitzernde Deckel von den Behältern, aus denen Menschen tranken, funklige Splitter oder glitzernde Verpackungen von Menschenfutter. Je, nachdem, was sie so fand. Ihre Ururururgroßmutter war eine Elster gewesen. Sie hatte die Vorliebe für Glitzeriges im Blut.

Kommisar Müller-Brochterbuck saß wie jeden Tag in seinem Lieblingsrestaurant und aß dort zu Mittag: Burger mit Pommes, wie immer. Der Kommissar war eigentlich sehr stolz auf seine Menschenkenntnis und seinen Scharfsinn, aber er ärgerte sich, dass er die Serie von Einbrüchen, die Berlin gerade erlebte, noch immer nicht beendet und die Einbrecherbande gefangen hatte. Die Kerle waren verdammt schlau! Von Tieren hatte er hingegen keine große Meinung. Er dachte sie wären dumm. Gerade kam wieder diese Krähe angeflattert, die scharf auf seine Pommes war. Er erkannte sie an ihrer fehlenden Kralle. Immer brachte sie ihm irgendwelchen Schrott mit – Kronkorken, Alufolie oder Splitter kaputter Bierflaschen. Er fand die Krähe lustig. Sie schien ihn bezahlen zu wollen. Während der Kommissar sein Mittagessen verspeiste, entwickelte die Bande ganz in der Nähe den Plan für ihren nächsten Einbruch: Ganove Drei, Vier, Zwei und Eins brechen die Tür des Juweliergeschäfts „Echt Gold“ auf. Ganove Fünf fährt den Fluchtwagen vor. Ganove Drei und Vier stehen Schmiere. Ganove Zwei und Eins gehen hinein, schlängeln, schlüpfen und ducken sich unter den Laserstrahlen der Überwachungsanlage hindurch, schneiden ein Loch in die Scheibe der ersten Austellungsvitrine und packen die berühmten Diamanten von Edfu ein. Nun schlüpfen, schlängeln und ducken sie sich unter den Laserstrahlen zurück. Diese Prozedur wird wiederholt, bis alle Vitrinen leer sind. Dann verlassen alle Ganoven den Einbruchsort. Einfach, aber brillant – so wie alle ihre Einbrüche bisher funktioniert hatten.

Am Abend (das Geschäft mit den Futtersachen hatte schon geschlossen) saß Krähe immer noch auf dem Leuchtestab und beobachtete die Himmelslichter. Aus dem Augenwinkel sah sie etwas Komisches: Fünf dunkel gekleidete Menschen gingen in ein Haus neben dem Futterhaus, wo Menschen Funkelsteine für den Hals, die Ohren oder die Finger bekamen. Sie sah manchmal lange dabei zu, wie sich das große Licht am Himmel in den Funkelsteinen spiegelte. Nun war der Feuerball weg und man konnte nicht viel sehen. Der einzige Schimmer kam von einem Licht im Laden. Es bewegte sich, und einer der Menschen beschwerte sich: „Hallo, wo ist das Auto? Komm mal mit der Taschenlampe!“ Krähe verstand die Menschensprache ein bisschen (ihr Ururururopa war ein Papagei gewesen). Einer der Menschen kam mit einem Tragelicht heraus. „Ein komischer Name für ein Licht, Taahschenlaahmpe“, dachte Krähe. Sie beobachtete, wie die Menschen Funkelsteine in Beutel steckten und die Beutel aus dem Haus brachten. Einer der Beutel war auf. Ob sie es sich wohl erlauben konnte, sich einen Stein zu stibitzen? Ach, den Menschen würde es nicht auffallen. Sie flog los, schnappte einen Stein und brachte ihn in ihr Nest. Sollte sie sich noch einen holen? Schade, der Beutel war schon in einem dieser Metalldinger, mit denen die Menschen sich schnell bewegen konnten (sie hatten ja keine Flügel). Die Klappe auf der Hinterseite war noch offen. Sie musste sich beeilen. Sie flog in das Metallding und holte einen weiteren Funkelstein (sie konnte gut picken, ihre Ururururgroßtante war ein Huhn gewesen). Aber was war denn das: ein weiterer Beutel flog durch die Klappe, es folgte ein lauter Knall und es wurde dunkel. Krähe war gefangen. Nun setzte sich das Metallding in Bewegung. Krähe wusste, dass sie nur durch die Klappe wieder herauskam. Sie musste also darauf warten, dass jemand sie öffnete. Nach einer Weile, in der sich Krähe schon zweimal den Kopf gestoßen hatte, hielt das Metallding an und die Klappe ging auf. Schnell schnappte sie sich noch einen Stein und flog heraus. Draußen sah es so aus, wie die Gegend, in der ihr Nest war. An der Wand auf einem der Häuser war eine Kuh angesprüht worden. Krähe kannte das Bild. Zum Glück hatte sie von ihrer Urururoma (einer Brieftaube) ihren guten Orientierungssinn geerbt, so war sie schnell wieder in ihrem Nest. Am nächsten Tag saß sie wieder auf dem Leuchtstab und beobachtete den dicken Mann. Er saß nicht wie sonst in dem Futterhaus, sondern stand da, wo gestern die Männer ihr Metallding abgestellt hatten. Er sprach laut mit einem anderen Mann. Er schien sehr wütend zu sein und zeigte immer wieder auf das Funkelsteinehaus. Krähe flatterte vorsichtig näher. Sie hatte als Tauschgegenstand einen der Steine mitgebracht.

Kommissar Müller-Brochterbuck war stinkesauer. Wieder hatten die Einbrecher zugeschlagen, dazu noch neben seinem Lieblingsrestaurant! Es machte ihn so fassungslos, dass er nichtsahnend sein Mittagessen gefuttert hatte, während die Räuber wahrscheinlich den teuersten Juwelier Berlins „Echt Gold“ ausspioniert hatten. Immer, wenn er wütend war, musste der Kommissar etwas essen. Also setzte er sich ins Café und bestellte das Übliche. „Ah,“ dachte er, „da ist auch wieder dieser dumme Vogel.“ Der Kommissar beobachtete abfällig, wie die Krähe sich vorsichtig näherte und dachte: „Hat immer nur sein Fressen im Kopf, das dumme Vieh!“ Doch dann fiel ihm auf, dass die Krähe etwas Glitzerndes im Schnabel trug. War das etwa…? Nein! Sie hatte doch nicht etwa einen Teil der Beute gefunden? Doch! Das Ding sah eindeutig so aus, wie ein Anhänger, der bei dem Überfall gestohlen worden war! Die Krähe kam vorsichtig näher und ein Tausch (Pommes gegen Anhänger) brachte Klarheit. Müller-Brochterbuck wusste, dass es sinnlos war, mit einem Vogel zu sprechen, dennoch fragte er: „Hast du noch mehr davon?“

„Mehr davon“ verstand die Krähe – ja, sie wollte noch mehr von den gelben Stäbchen, schnell flog sie zu ihrem Nest und holte einen weiteren Funkelstein. Der dicke Mann sah nun viel fröhlicher aus als vorher, er wirkte richtig aufgeregt und fuchtelte mit den gelben Stäben, während er schnell in ein eckiges Ding sprach, dass er in der anderen Hand hielt. Krähe freute sich mit dem Mann, dass sich seine Laune so schnell verbesserte (und auch über die Stäbchen). Wie viele davon würde sie wohl bekommen, wenn sie dem Mann zeigte, wo der Rest versteckt war? Sie hüpfte auf die Straße in Richtung des Hauses, in dem die Männer die vielen Funkelsachen versteckt hielten. Fliegen mochte sie nicht, schließlich konnte der dicke Mann ihr dann nicht folgen. „Arme Menschen“ dachte Krähe, während sie sich umdrehte, um zu sehen, ob der Mann ihr hinterherkam.

Herr Müller-Brochterbuck traute seinen Augen nicht: Der Vogel hüpfte auf der Straße, als wüsste er, dass er nicht fliegen konnte, und er sah sich zwischendurch um, als würde er auf ihn warten. Schnell bezahlte er, nahm die restlichen Pommes einfach in die Hand und schnaufte hinter dem Vogel her. Nach kurzer Zeit blieb die Krähe vor einem Haus mit einem Kuh-Graffiti stehen und deutete mit ihrem Schnabel darauf. Der Kommissar überlegte kurz, ob er träumte, doch dann rief er Verstärkung, gab seinen Standort durch und durchsuchte, als diese eingetroffen war, das Haus. Dabei fand er die Diamanten von Edfu und auch die Diebe, die sie gestohlen hatten. Alle Räume des Hauses waren (und das was das Beste) voll mit gestohlenen Sachen aus der Einbruchsserie.

Einige Wochen später saß die Krähe wieder einmal auf der Laterne in der Nähe des Reichstages. Sie war in letzter Zeit etwas rundlicher geworden, weil sie jeden Tag gelbe Stäbchen aß. Sie lernte von dem dicken Mann die Menschensprache und wollte ihm dafür gern das Fliegen beibringen. Doch obwohl der dicke Mann schon viel dünner geworden war (er musste immer hinter ihr herlaufen), klappte es nicht. Trotzdem war er viel netter geworden, seit sie ihm die Funkelsteine gezeigt hatte. Er nannte sie ‚Kralle‘, sie nannte ihn ‚Taahschenlaahmpe‘. Sie dachte: „Wie gut, dass meine Eltern Krähen waren – denn Krähen sind ja, wie jeder weiß, besonders schlaue Tiere, die immer herausfinden, wo es etwas Gutes zu Fressen gibt.“

Nur manchmal, wenn er mit Kollegen essen ging, erzählte der Kommissar von der erstaunlichen Unterstützung, die er bei der Lösung des Falles gehabt hatte (und von dem großen detektivischen Spürsinn von Krähen). Doch meistens lachten die Zuhörer und glaubten kein Wort. Aber er hatte von nun an einen ganz anderen Blick auf Tiere im Allgemeinen und auf Krähen im Besonderen.

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