Seneca und das Christentum

Erschienen im Mindener Tageblatt

Jobst von Palombini fragt nach dem Verhältnis von Paulus und Seneca

Auf Einladung der Kant-Gesellschaft Minden geht Jobst von Palombini der Frage nach, ob Paulus und Seneca mehr als Zeitgenossen waren. Den römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca (4 bis 65 n. Chr.) habe er gewählt, so der Referent, weil sich an seinem Beispiel eine gewisse Nähe der religiös getönten Philosophie zum Frühchristentum aufzeigen lasse, wie es sich etwa in einzelnen Schriften des Apostels Paulus (ca. 10 bis 60 n. Chr.) offenbare.

Eine Schlüsselstelle in den Briefen zu Fragen der Moral sieht von Palombini in Senecas Worten: „Nahe ist dir Gott, mit dir ist er, in dir ist er.“ Damit verabschiede sich der Philosoph vom vorherrschenden Zweckdenken, wie es sich im antiken Opferkult zeige. Begriffe wie „spiritus sacer“ und „spiritus sanctus“ (heiliger Geist) zeugen, so von Palombini, ebenfalls von einer Annäherung in den Leitbegriffen. Ob aber von einem direkten Einfluss der verfolgten Frühchristen auf den Philosophen gesprochen werden könne, sei umstritten. Ein im 4. Jahrhundert verfasster fiktiver Briefwechsel habe diese Verbindung zwar zu stiften versucht, sei im 15. Jahrhundert aber durch die Humanisten als Fälschung entlarvt worden.

Derartiger Konstruktionen bedürfe es aber gar nicht, so von Palombini. Das Gewissen werde schon im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu einem Schlüsselbegriff. Der beseelte Mensch ist innerlich mit Gott im Gespräch, bei Seneca wie bei Paulus. Zum Ideal des Stoikers Seneca werde nicht der Weise, der allein profunde Kenntnisse habe und widerspruchsfrei argumentieren könne; vielmehr sei es der Mensch, der seine Teilhabe an der Vernunft immer wieder nutze, um seinen Zugang zu der göttlichen Vernunft zu erweitern. Der Weise sei eher der, der sich mit seiner ihm zukommenden menschlichen Vernunft stetig und redlich bemühe, sich selbst aus diesem Aufgehoben-Sein zu verstehen und sein Leben gemäß dieser Einsicht zu führen.

Mit dieser gleichermaßen philosophisch wie theologisch intensiven Zeitreise nahm von Palombini die Zuhörer mit in die dem frühem Christentum und den Stoikern gemeinsame Gedankenwelt der Antike. Dabei gelang es ihm immer  wieder, diesen geistigen Kontext auch anschaulich zu vermitteln. Der Wald, so der Referent, werde von Seneca als etwas Erhabenes betrachtet, die warmen Quellen nicht minder; von „göttlichem Walten“ sei angesichts der Naturgewalten die Rede, um dann den Blick wieder auf das Innere des Menschen zu richten und seinen Körper. Denn obwohl dieser ja gerade angesichts der Übermacht der Naturgewalten als schwach und armselig, als verletzlich erlebt werde, gründe doch auch auf diesem Erleben und Wissen um die Naturgewalten seine eigene Erhabenheit.

Diese Verletzlichkeit, ob physisch oder psychisch, sei ebenfalls nichts für die Mängelliste. Sie mache gerade das Menschliche aus und gehöre zur inneren Polarität des Menschen, so von Palombini auf Nachfrage, genauso wie der Wunsch, nicht heimgesucht zu werden, von Krankheit und Gebrechen. Erlösung könne aber für die Christen nur als Geschenk, als Gnade angesehen werden, nicht als eigene Leistung oder Belohnung.

Im anschließenden Gespräch ging es um die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines direkten Kontakts zwischen Paulus und Seneca sowie um das, was gleichsam als geistige Berührungslinie beide ebenso trenne wie verbinde. Dabei wurde deutlich, dass bei den Stoikern das gelassene Hinnehmen des vom Schicksal bestimmten Lebensweges – die viel zitierte stoische Gelassenheit – im Zentrum ihrer philosophischen Übung und Lebenspraxis stehe. Die Botschaft von dem Geschenk des Glaubens und von dem für die Christen im Tod Jesu bezeugten Wissen um die Liebe Gottes, mit ihrem irdischen Leben in ihm aufgehoben und aufgenommen zu sein, ganz unabhängig von allen Widrigkeiten und Widerfahrnissen des Diesseits, sei insofern auch eine Herausforderung für die antike Philosophie und Gesellschaft gewesen. Andererseits seien aber auch die frühen Christen dadurch besonders herausgefordert worden, ihre Botschaft von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ (1. Brief des Paulus an die Korinther) im Kontext dieser ausgereiften antiken Philosophien den Menschen zu vermitteln. Dies habe Risiken für sie mit sich gebracht, weil die Weigerung der Christen, sich einem anderen als ihrem Herren zu unterwerfen, von den antiken Herrschern als Bedrohung ihrer eigenen Macht angesehen worden sei. Das Herausgefordert-Sein durch antike Philosophie wie die Senecas habe ihnen aber auch nachhaltige Chancen eröffnet. So sei die Botschaft von der Liebe Gottes und der Hoffnung auf ein ewiges Leben gerade bei den einfachen Menschen angesichts ihres harten und oft trostlosen Lebens offenbar auch auf besonders fruchtbaren Boden gefallen.

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